Der schmale Fleck der Stadt am Hafen.
Als das eigentliche Bremische Hafengebiet an der Weser 1827 gegründet wurde, startete dieses sogleich in eine Zeit des atemlos, sich selbst ständig übertreffenden Wachstums des Seehandels mit der Welt. Die Hafenbecken waren schon kurz nach der Fertigstellung zu klein, wurden erweitert oder in immer größeren Varianten an der Weser entlang neu gebaut. Und in dem sehr schmalen und fast bananenförmig parallel zu den neuen Häfen immer zeitgleich neu erbaute und eher sehr kleine Bremische Wohngebiet lebten um 1860 schon 6.000 Einwohner. In einem stadtrechtlich genannten Flecken mit beeindruckender Kneipendichte, in denen Hafenarbeiter und Seeleute ihren Lohn ausgaben und Auswanderer sich bis zur Schiffsabfahrt einquartierten. Von all dieser Pracht des südlichen historischen Bremerhavens blieb nach der Bombardierung im zweiten Weltkrieg leider nichts mehr übrig. Fast nichts.
Die ungewöhnliche Verwandlung der Bremerhavener Hochschule
Das historische Auswandererhaus wurde 1849/50 an dieser Stelle von einem Spediteur zur Unterbringung und Verpflegung von Auswanderern errichtet. Über 2.000 Menschen konnten hier übernachten und bis zu 3.500 bekocht werden – ein beeindruckender Vorläufer moderner Hostels. Aber spätestens mit Einführung des Bahnverkehrs von Bremen aus entfielen für die Auswanderer die oft tagelangen Wartezeiten in Bremerhaven - das Auswandererhaus verlor daraufhin schon nach zehn Jahren wieder seine Bedeutung. Es wurde zunächst Kaserne und war dann die meiste Zeit Brauerei.
Erst mit dem Bau der Hochschule in den 1970er-Jahren an dieser Stelle wurden einige Teile des alten Gemäuers wieder entdeckt, freigelegt und vom Architekturbüro sehr mutig in die Neuplanung miteinbezogen. Später wurde die Hochschule baulich sehr kontrastvoll erweitert.
Die größte deutsche und internationale Hochschule Bremerhaven
Mittlerweile gibt es über 3.000 Studierende an der größten deutschen und internationalen Hochschule, begleitet von über 150 Lehrenden - teilweise auch englischsprachig.
Das große Gesamtkunstwerk einer Hafenstadt: Kunst und Kultur
Der 1886 aus Protest gegen Bremens Bevormundung gegründete Kunstverein hat sich über die Zeit bis heute zu einem beeindruckenden Gesamtkunstwerk entwickelt. Und welcher Kunstverein kann schon von sich sagen, dass er neben einer Kunsthalle mit benachbartem Künstlerrestaurant zusätzlich auch noch ein eigenes Kunst-Museum betreibt? Und gleich daneben befindet sich ein komfortables Großkino. Bremerhaven macht es tatsächlich vor.
Die neue Klarheit. Ein neues Kunstmuseum. Jüngst wurde unter der neuen Leitung das vollständig geänderte Ausstellungskonzept des Kunstmuseums präsentiert. Die Änderung geht weg von der bisher üblichen Ansammlung von Ausstellungsstücken hin zu erfrischend kompromissloser Neugliederung und Klarheit. Die Aussagen der Kunstwerke werden radikal deutlich auf den Punkt gebracht, in denen ihnen der Raum dazu gelassen wurde. Sehr sehenswert - das "neue" Kunstmuseum.!
Irgendwie wurde in der Bremischen Hafenstadt schon immer Theater gespielt. An wechselnden Stellen: Das Stadttheater.
Das nach dem zweiten Weltkrieg mit Resten der alten Fassade neu aufgebaute und erweiterte Stadttheater lässt heute an Vielseitigkeit wirklich nichts aus: Musiktheater, Ballett, Schauspiel, Junges Theater und Philharmonisches Orchester bespielen das Große und Kleine Haus, das Deutsche Auswanderhaus und das Theater im Fischereihafen. Die Junge Bühne (nebenan im Stadtteil Geestemünde) mit ihrem Ensemble samt Theaterpädagogen und Theaterlaboren geht nebenher noch in die Schulen und Stadtteile. Und es gibt noch die Theaterkochshow im Fischereihafen, die Jazznacht und das Tresentheater in der Alten Bürger. Was habe ich übersehen?
Den ehemaligen Marktplatz nennen die Einheimischen unkorrekt, aber zutreffend "Theaterplatz" und hier haben sich noch einige Restaurants und ein traditionelles und modernisiertes Hotel niedergelassen.
Der Weihnachtsmarkt als Ort der Gewissheiten.
Nach der Pandemie erfreut sich der Weihnachtsmarkt wieder großer Beliebtheit und in Strömen sickern beeindruckende Menschenmengen fröhlich feiernd in diesen buntlauten Bereich voller Gerüche, Farben und feuchten Gelüsten.
Ein Weihnachtsmarkt lebt davon, dass sich zuverlässig möglichst nichts ändert und die Besucher schon lange im Voraus wissen, wo sie sich treffen, wo sie klönen und wahrscheinlich auch über was. Die Speisen sind genauso gewürzt wie letztes Jahr und die Jahre davor und den Kindern wird gezeigt, wie es früher mal war.
Mehr meiner Fotos auf dem Weihnachtsmarkt finden sie hier: AM WASSER fotoblog Weihnachtsmarkt Bremerhaven 2020 - 2022 (thomasdamson.com)
Keine Liebe, keine Zuneigung, keine Vertrautheit zu diesem Stadtteil - allenfalls Gewohnheit.
Denn schon unmittelbar nach den langen und warmen Nächten mit wundervollen Freiluftveranstaltungen im Hochsommer und den Wochen des Weihnachtsmarkts ist der große Platz und die langgezogene Bürgermeister Smidt Straße eigentlich nur Shoppingmeile und spätestens ab 22 Uhr komplett leer. Angst vor schwierigen Begegnungen braucht hier deshalb niemand zu haben, weil dann auch diese schwierigen Personen hier lieber nicht mehr sind. Selbst Gespenster kommen hier nicht her.
Die älteste Kneipe. Die kleine Ausnahme. Der historische Lichtblick.
Ein kleiner und wichtiger Lichtblick mit Kultstatus liegt in der parallel verlaufenden Pragerstraße, gleich hinter der Großen Kirche, im ehemaligen Vergnügungsviertel der Hafenstadt: Das “Alt Bremerhaven” als die älteste Kneipe der Hafenstadt. Das 1835 erbaute Wirtshaus war das erste am Ort und ist heute das letzte und einzige, dass die Flächenbombardierung des zweiten Weltkriegs in diesem Stadtteil Süd überlebte und mittlerweile unter Denkmalschutz steht. Mit dem im alten Stil erweiterten Gastraum im Obergeschoss und leckerer Bistrokarte hat es unter Bremerhavenern große Beliebtheit erreicht. Und der originale Nebenraum im Erdgeschoss ist erlebbare, essbare und trinkbare Stadtgeschichte von 1835.
Das Tivoli. Hatte nicht jede Stadt mal ein Tivoli?
Wer diesen Stadtteil in Richtung der immer lockenden Alten Bürger verlassen will, wird an noch einem anderen interessanten Punkt vorbeikommen. Das Musikcafé Blattlaus mit seinem großen Wintergartenlokal und vielseitigem Frühstück bis gehobener Bistrokarte und Drinks gilt als Bremerhavener Institution.
Ich erwähne es auch wegen des rätselhaft hässlichen Gebäudes drumherum: Das Tivoli. Viele Jahre stand der ehemalige Tanz- und Theatersaal mitsamt seinen dazugehörigen Künstlerwohnungen und kleinem Saal nach mehrfach misslungener Umgestaltung der Fassade leer und geriet in vorläufige Vergessenheit, nachdem der Kinobetrieb der Nachkriegszeit und schließlich die letzte Disco ausgezogen war. Bei einer Versteigerung 2018 in Hamburg sorgte die freundliche Besitzerin und Betreiberin des Musikcafé Blattlaus im gleichen Gebäude für die Erhaltung des Bremerhavener Zugriffs auf das beeindruckende Juwel der Stadtgeschichte.
Und von jenen, in denen gefühlt “schon immer”, also seit 1880 in der Stadt gefeiert, getanzt und vieles mehr wurde, ist das legendäre Tivoli sicherlich das größte und einzige übriggebliebene Juwel dieser Art - gelegen an der Schnittstelle zwischen Bremerhaven Mitte, Alte Bürger und Lehe. Zentraler geht´s nicht.
Mehr eindrucksvolle Fotos von mir aus dem Tivoli finden Sie hier: Alte Träume werden wahr. Das kultige Tivoli.
AMWASSER fotoblog: Vom Leben im Norden. Leben am Wasser. Von Sonne, Wind und anderem. Professionelle Fotografie. Ehrliche Geschichten. Das echte Leben.
Nächster Teil 2: Bremerhavens Alte Bürger und Scharnhorstquartier in Mitte Nord.
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